Als Vorstand der ÖGABS verlieren wir mit dem Ableben von Dr. Hans Haltmayer einen langjährigen Freund, einen äußerst verlässlichen und hilfsbereiten Kollegen und eine tragende Persönlichkeit in unserem Verein – wir vermissen ihn in vielfacher Hinsicht.
Als 2005 im Rahmen des 8. Substitutionsforum Mondsee erstmals die Bildung eines Vereines angeregt wurde, der die Interessen der arzneimittelgestützten Behandlung Abhängigkeitskranker vertreten sollte und dieser Verein schließlich ein Jahr später tatsächlich gegründet wurde, war Hans Haltmayer an diesem Prozess aktiv beteiligt und übernahm in all den folgenden Jahren abwechselnd mit Alfred Springer die Funktion des 1. oder 2. Vorsitzenden. Er war in der Folge an vielen Aktivitäten der ÖGABS wesentlich beteiligt und fungierte häufig als treibende Kraft. Sichtbar wurde sein Wirken in dieser Hinsicht in diversen Veranstaltungen und Fortbildungen, die er wesentlich mitgestaltete. Eine besondere Rolle spielte dabei auch weiterhin das „Substitutions-Forum“ in Mondsee. Es gelang Hans Haltmayer im Laufe der Jahre, gemeinsam mit dem übrigen Vorstand, insbesondere Prof. Springer, dieses ursprünglich von der Firma Mundipharma initiierte Diskussions- und Fortbildungsevent zu einer international etablierten und von inzwischen ganz unterschiedlichen Firmen unterstützten Veranstaltung weiterzuentwickeln.
Die Thematik der Substitutionsbehandlung beschäftigte Hans Haltmayer in mehrfacher Hinsicht. Bedeutsam ist seine Beteiligung an der Erstellung von Richtlinien für den kompetenten Umgang mit dieser Behandlungsform, speziell der Entwicklung eines Konsensus über die fachgerechte Durchführung einer oralen Agonisten-Therapie.
Die ÖGABS erarbeitete und veröffentlichte bereits 2009 ein Konsensus-Statement "Substitutionsgestützte Behandlung Opioidabhängiger", zu dem Haltmayer wesentliche Beiträge lieferte.
Trotz dieser Bemühung zu einer Klarstellung bzgl. einer fachgerechten arzneimittelgestützten Behandlung startete Anfang der 2010er-Jahre unter den Fachleuten ein zeitweilig aggressiv geführter, kontraproduktiver und politisch ausnutzbarer Diskurs bzgl. der Verwendung der unterschiedlichen zur Wahl stehenden Agonisten. Im Kontext dieses Auseinandersetzung musste Dr. Haltmayer auch recht unerfreuliche persönliche Attacken einstecken.
In dieser Situation veranstaltete die ÖGABS am 30.11. 2012 das Symposium „35 Jahre arzneimittelgestützte Behandlung von Suchtkranken in Österreich - Rückblick und Perspektiven“, in dem die bedeutende Position von Dr. Otto Presslich in der Entwicklung eines akzeptierenden Zugangs in der Suchthilfe gewürdigt wurde und das Haltmayer moderierte.
Die insgesamt unerfreuliche und kontraproduktive Situation wurde schlussendlich dadurch beendet, dass 2017 seitens des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen eine breit angelegte Arbeitsgruppe, die mehrere Fachgesellschaften einband, einberufen wurde, in welcher auch Haltmayer prominent mitarbeitete. Es gelang dieser Gruppe einen Konsens zu erzielen der in der „Leitlinie Qualitätsstandards für die Opioid-Substitutionstherapie“ seinen Niederschlag fand. Die Erkenntnisse und Vorgaben dieser Leitlinie wiederum fanden ihren Niederschlag in der mit 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Novelle zur Suchtgiftverordnung, die eine Eindämmung der Übergriffe des Gesetzgebers in medizinische Behandlungsfragen bewirkte. Wesentlich war, dass es aufgrund dieser Novellierung nicht mehr möglich war, dass seitens des Gesetzgebers auf die Wahl des therapeutisch zum Einsatz gebrachten Opioids im Sinne der Definition eines Substitutionsmittels erster Wahl Einfluss genommen werden konnte. Damit war ein wesentliches Anliegen der ÖGABS erfüllt, das von unserem Verein (und insbesondere auch von Hans Haltmayer selbst), seit seiner Gründung stets vorgebracht wurde.
In der Fort- und Weiterbildung war Haltmayer durch die Etablierung verschiedener Qualitätszirkel tätig, wobei das Thema Hepatitis und ihre Behandlung eine besondere Bedeutung gewann.
Hans Haltmayer war ein überzeugter- und überzeugender Repräsentant des harm reduction – Gedankens. Von seinen Anfängen an agierte er im Feld der Umsetzung dieses Prinzips. War doch der „Ganslwirt“, dessen ärztliche Leitung er im Spätherbst 1990 übernahm ein Teil des umfassenden harm reduction-Angebots der „Wiener Sozialprojekte“, in dem selbst ebenfalls schadensminimierend intendierte Projekte entwickelt und angeboten wurden. Auch als 2011 die Wiener Sozialprojekte aufgelöst wurden und in der Suchthilfe Wien aufgingen, blieb Hans Haltmayer, der in der neuen Struktur mit der ärztlichen Leitung des Ambulatoriums Suchthilfe Wien und des Regionalen Kompetenzzentrums beauftragt wurde und dazu noch 2013 zum "Beauftragten für Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien" ernannt wurde, seiner Einstellung und seinen Zielen treu.
Der Arzt Hans Haltmayer
Hans Haltmayer war Allgemeinmediziner mit zusätzlich erworbener psychotherapeutischer Kompetenz. Er verstand sich als Arzt, der harm reduction als wesentliche Komponente der ärztlichen, speziell der allgemeinmedizinischen, Kompetenz verstand. Aufgrund dieser Identifizierung mit ärztlichen Aufgaben suchte er Aktionsfelder, die ihm die Umsetzung dieser Vorstellungen ermöglichten und prägte damit die Gestalt und Qualität der Suchthilfe in Wien und verlieh ihr einen spezifischen Charakter. Einen kongenialen Partner in seinen Bemühungen fand er in Prof. Dr. Michael Gschwandtler, mit dem gemeinsam er ab 2016 ein Konzept der Behandlung suchtkranker PatientInnen, die an Hepatitis C erkrankt waren, entwickelte.
Wenn man bedenkt, dass zuvor die internistische Behandlung dieser Klientel prominenten Vertretern der Inneren Medizin „nicht sinnvoll“ erschien und im Kontrast dazu sieht, welch positive Ergebnisse diese Behandlung in der Suchthilfe Wien erbrachte, wird deutlich, wie viel in diesem Bereich von Gschwandtler und Haltmayer erreicht wurde. Selbstverständlich ist dies auch der Entwicklung von neuen Behandlungsmöglichkeiten durch die Pharmaindustrie und entsprechende Forschung geschuldet. Aber es ging doch auch wesentlich um angewandte harm reduction, um Anti-Stigma-Arbeit, und um eine konsequente Bemühung „Normalisierung“ der ärztlichen Versorgung Suchtkranker zu implementieren.
In dieser seiner späten Arbeitsperiode ist es Haltmayer, gemeinsam mit Gschwantler, gelungen, das Prinzip der harm reduction in einer neuen Dimension umzusetzen und damit entscheidend zur Verbesserung der Gesundheitslage nicht nur der Abhängigkeitskranken, sondern der Gesamtbevölkerung beizutragen. Diese Arbeit hat auch international Anerkennung gefunden. Es war projektiert, dass die Zusammenarbeit zwischen Gschwandtler und Haltmayer über die medizinische Behandlung der Abhängigkeitskranken hinaus weitere Räume der harm reduction eröffnen sollte, dass die Behandlungskooperation auf den Strafvollzug und die Betreuung von Sex-ArbeiterInnen ausgeweitet werden sollte. Leider hat die schwere Erkrankung Haltmayers es ihm letztlich verwehrt, diese weiteren wichtigen Schritte im Sinne der Verwirklichung des harm reduction-Prinzips umzusetzen, bzw. mitzugestalten.
In seinen letzten Jahren ist es jedoch Hans Haltmayer zweifelsfrei gelungen, konsequent den Weg von einer tolerierenden Haltung der Klientel gegenüber zur Umsetzung einer akzeptierenden Haltung einzuschlagen. Diese Entwicklung hat letztlich dann wohl auch dazu beigetragen, dass es ihm gelang, nach vielen Jahren entsprechender Vorarbeit, in Wien in den Räumen der Suchthilfe iv Substitution mit iv applizierbarem Hydromorphon anzubieten und damit das Tabu „Konsumraum“ ein Stück weit zu brechen.
Die nüchternen Daten bezüglich der Karriere von Hans Haltmayer verraten nichts über die sozialen und politischen Umstände und Auseinandersetzungen, in denen dieser Lebenslauf und diese progressive Leistung stattgefunden hat. Waren doch die vielen Funktionen, die Hans Haltmayer übernommen hat, immer wieder von den Konfrontationen überschattet, die die thematischen Bereiche Sucht, substanzabhängige Personen und Suchtbehandlung im gesellschaftspolitischen Diskurs dauerhaft begleiten. Und Hans Haltmayer hat all dem standgehalten und ist seinem Weg, seiner Überzeugung, stets gefolgt.
Er hat mit dieser konsequenten Haltung viel dazu beigetragen, dass heute in Wien und auch in anderen Bundesländern der therapeutische Umgang mit Abhängigkeitskranken menschenrechtlichen Vorstellungen verpflichtet ist und medizinethischen Vorgaben entspricht.
Hans Haltmayer ist seiner Vision gefolgt und hat viel erreicht. Wir verstehen uns dazu verpflichtet, die von und mit ihm begonnene Arbeit in seinem Sinne fortzuführen.